Fazit



Wie bereits im Kapitel Eiweißbedarf angedeutet, ist die bisher zumeist zugrunde gelegte, gerade ausgeglichene Stickstoffbilanz für Schätzungen von Proteinqualität und -quantität nicht unbedingt die beste Zielsetzung für eine optimale Proteinaufnahme.1

Das bedeutet, dass die derzeitigen, wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ausreichen, um eindeutige Empfehlungen für eine optimale Proteinaufnahme hinsichtlich einer langfristigen Gesundheit oder einer sicheren Obergrenze abzugeben.2


Welche Einflüsse müssen noch berücksichtigt werden?

Ein Einfluss, der bisher in der Bewertung der Proteinqualität, so auch beim DIAAS, noch nicht betrachtet wurde, ist das Absorptionsmuster des Aminosäurenprofils im Nahrungsprotein. Nicht alle enthaltenen Aminosäuren werden zeitgleich aufgenommen, dabei ist auch eine Aufnahme von Aminosäuren schon direkt über die Mundschleimhaut bekannt. Dies funktioniert übrigens bei der Mundschleimhaut ähnlich wie im Darmtrakt mit Carriern, d. h. Transportsystemen. Das Absorptionsmuster ist aber nicht nur vom Aminosäurenprofil selbst abhängig, sondern auch die absolute Menge der Aminosäuren beeinflusst dieses. Folglich stehen dem Körper also nicht alle im Nahrungsprotein enthaltenen Aminosäuren zeitgleich für die Proteinsynthese zur Verfügung.

Von Bedeutung wäre auch eine zukünftige Bewertung von Einflüssen, wie effizient und ressourcenschonend Proteine und ihre Aminosäuren vom Körper überhaupt verdaut werden können. So gibt es in den bisherigen Berechnungen keinen Unterschied in der Betrachtung von Lebensmitteln, die einen hohen Energie- und Ressourcenaufwand für die Verdauung erfordern, damit schließlich die enthaltenen Aminosäuren aufgespaltet werden können und damit ins Blut gelangen, und beispielsweise diätetische Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, die aus freien, kristallinen Aminosäuren bestehen und somit ohne die Notwendigkeit körpereigener Enzyme effizient aufgenommen werden können. Gerade bei älteren und kranken Menschen kann die Fähigkeit ausreichend Enzyme für die Aufspaltung von Proteinen und Peptidketten zu produzieren eingeschränkt sein und die Aufnahmefähigkeit damit beeinträchtigen. Aber natürlich auch für gesunde Menschen kann eine effiziente Aufnahme vorteilhaft sein.

Es existiert somit noch viel Forschungsbedarf, um ein optimales Protein oder eine optimale Proteinkombination bestimmen zu können, welche dem Ziel einer langfristigen Gesundheit Rechnung tragen kann.


Wie beeinflussen Aminosäuren die Proteinsynthese?

In diesem Zusammenhang wird sich zukünftig auch die Aufmerksamkeit auf unentbehrliche Aminosäuren richten müssen, welche nicht nur als Bausteine bei der Muskelproteinsynthese verwendet werden, sondern auch als Signalmoleküle die Muskelproteinsynthese stimulieren können. So zeigten eine Reihe von Studien am Menschen, dass mit der Gabe von Leucin, Phenylalanin, Valin und Threonin die Muskelproteinsynthese stimuliert werden kann.3

Aufgrund der Erforschung der Mechanismen, mit welchen unentbehrliche Aminosäuren die intrazellulären Signalwege der Zellen stimulieren, wird davon ausgegangen, dass vor allem Leucin nach dem Passieren der Zellmembran ein anaboles Signal auslöst.4 Die unentbehrliche Aminosäure Leucin wird deshalb als potenzieller Regulator der Proteinsynthese betrachtet.5


Anstieg der Leucin-Konzentration im Blutkreislauf

Diagramm 1: Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit der Leucin-Aufnahme und dem damit verbundenen Anstieg der Konzentration von Leucin im Blutkreislauf


Man geht aufgrund von Studien davon aus, dass ein schnellerer Anstieg der Leucin-Konzentration im Blut eine höhere Muskelproteinsynthese zur Folge hat.6 Wichtig zu beachten ist, dass sich eine signifikante Erhöhung der Muskelproteinsynthese nur in Verbindung mit einem vorausgegangenen, intensiven Muskeltraining erreichen lässt.


abflachender Anstieg der Muskelproteinsynthese bei ansteigender extrazellulärer Leucin-Konzentration

Diagramm 2: Zusammenhang zwischen der extrazellulären Leucin-Konzentration und der Erhöhung der Muskelproteinsynthese


Das Verhältnis zwischen der Zunahme der Leucin-Konzentration und der Erhöhung der Muskelproteinsynthese verläuft nicht ganz linear. Verständlicherweise lässt sich die Muskelproteinsynthese nur bis zu einem gewissen Grad erhöhen, demnach flacht die Kurve mit zunehmender Leucin-Konzentration immer weiter ab.7


Ist Leucin ausreichend für die Steigerung der Muskelproteinsynthese?

Studien haben zudem gezeigt, dass die isolierte, orale Gabe von Leucin, oder auch der verzweigtkettigen Aminosäuren Leucin, Isoleucin und Valin (BCAAs) zusammen, anscheinend nicht ausreichend für eine zeitlich relevant anhaltende, signifikante Erhöhung der Proteinsynthese sorgt. Im Gegensatz dazu konnte mit einer Aminosäurenmischung aus unentbehrlichen Aminosäuren eine, wie in Diagramm 2 veranschaulichte Erhöhung der Muskelproteinsynthese über einen relevanten Zeitraum nachgewiesen werden.8

Sehr interessant ist auch, dass die Erhöhung der Muskelproteinsynthese nur über einen gewissen Zeitraum möglich ist, nämlich für etwa 2 Stunden. Danach kommt es anscheinend zu einer Desensibilisierung des Signalmechanismus, trotz weiterhin erhöhter Aminosäuren-Konzentration.7


Den Wald vor lauter Bäumen ...?

Abschließend betrachtet, kann im Streben nach einer optimalen Proteinversorgung der Blick auf andere, ebenfalls lebensnotwendige Nährstoffe schnell verloren gehen. Sicher sind hochwertige Eiweißquellen niederwertigen vorzuziehen und eine adäquate Proteinversorgung ist essenziell. Allerdings ist für eine gesunde Ernährung stets die Gesamtheit aller Nährstoffe von Bedeutung, die Basis muss deshalb immer eine vielseitige, ausgewogene und abwechslungsreiche Mischkost bilden. Frische, natürliche und saisonale Lebensmittel sollten dabei immer die erste Wahl sein.


Frischer Fisch mit Tomaten und Knoblauch

Abbildung 17: Frischer Fisch liefert nicht nur hochwertiges Eiweiß.






Literaturnachweis

1. FAO, Food and Nutrition Paper No. 92, Dietary protein quality evaluation in human nutrition, 2013, S. 31.
2. FAO, Food and Nutrition Paper No. 92, Dietary protein quality evaluation in human nutrition, 2013, S. 31.
3. Mitchell, W. Kyle et al., Human Skeletal Muscle Protein Metabolism, American Society for Nutrition, American Society for Nutrition, 2016, S. 829.
4. Mitchell, W. Kyle et al., Human Skeletal Muscle Protein Metabolism, American Society for Nutrition, American Society for Nutrition, 2016, S. 833.
5. FAO, Food and Nutrition Paper No. 92, Dietary protein quality evaluation in human nutrition, 2013, S. 32.
6. Nicholas A. Burd et al., Food-First Approach to Enhance the Regulation of Post-exercise Skeletal Muscle Protein Synthesis and Remodeling, Sports Medicine, 2019, S. 61-63.
7. American Society for Nutrition, Michael J. Rennie et al., Branched-Chain Amino Acids as Fuels and Anabolic Signals in Human Muscle, 2006, S. 266.
8. American Society for Nutrition, Michael J. Rennie et al., Branched-Chain Amino Acids as Fuels and Anabolic Signals in Human Muscle, 2006, S. 266-267.



Abkürzungen

DIAAS - Digestible Indispensable Amino Acid Score
FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations, zu Deutsch: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, auch als Welternährungsorganisation bekannt
BCAAs - Branched-Chain Amino Acids








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