Amino Acid Score
Betrachten wir zuerst die wichtigsten chemischen Formeln zur Ermittlung der Proteinqualität. Gleich vorab: Die beste Methode zur Beurteilung der Qualität eines Nahrungsproteins erfolgte lange Zeit mithilfe des Amino Acid Scores, der auch als Aminosäurenindex, chemischer Index oder Protein Score bezeichnet wird. Ab Mitte des letzten Jahrhunderts, zu Beginn der Einführung, wurde er vor allem als Chemical Score bekannt.
1. Chemical Score (CS)
Zur einfacheren und genaueren Bestimmung der Wertigkeit eines Proteins sollte der Chemical Score andere, aufwendige biologische Verfahren ablösen. Die Erkenntnis, dass sich die Qualität eines Nahrungseiweißes durch die enthaltenen unentbehrlichen Aminosäuren ausdrücken lässt, war die Basis für die Einführung des Chemical Scores. Block und Mitchell veröffentlichten 1946 ihr ermitteltes Aminosäurenprofil mit unentbehrlichen Aminosäuren in Hühnervollei. Hühnervollei enthält alle unentbehrlichen Aminosäuren in angemessener Menge, deshalb schlugen Block und Mitchell vor, die Wertigkeit eines Proteins anhand des Chemical Scores abzubilden und als Referenzprotein das Profil unentbehrlicher Aminosäuren in Hühnervollei zu verwenden.
Die Berechnung des Chemical Scores erfolgt mit dieser Formel:
Chemical Score | = | min | ({ | ... , |
| x 100 | , ... | }) |
ASi,T = Aminosäurei bzw. Aminosäurengruppei im Testprotein mit 1≤i≤n
ASi,R = Aminosäurei bzw. Aminosäurengruppei im Referenzprotein mit 1≤i≤n
n = Anzahl der Aminosäuren bzw. Aminosäurengruppen im Referenzprotein
Der Chemical Score wird durch einen Vergleich des zu bewertenden Proteins zu einem Referenzprotein berechnet. Grundsätzlich kann dieses Referenzprotein frei gewählt werden. Zielführend ist aber nur ein Referenzprotein, welches den tatsächlichen, menschlichen Bedarf so gut wie möglich abbildet. Der Vorteil dabei ist, dass ein solches, ideales Referenzprotein immer wieder nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen optimiert werden kann.
So hat sich der Chemical Score zur wichtigsten und besten Bestimmungsmethode entwickelt. Für noch realistischere Bewertungen mit dem Aminosäurenindex wurde dieser ab 1989 mit der Verdaulichkeit des Nahrungseiweißes erweitert. Mit diesem Schritt wurde der Chemical Score als beste Methode vom PDCAAS und später vom DIAAS abgelöst. Dennoch ist bis heute bei den neuesten und besten Berechnungsmethoden der Aminosäurenindex ein Kernelement geblieben.
Welches Referenzprotein wird standardmäßig verwendet?
Wie erwähnt, wurde anfangs mit dem Profil von Hühnervollei experimentiert. Schnell wurde erkannt, dass die Anforderungen an ein ideales Referenzprotein nur durch ein individuell erstelltes Aminosäurenprofil erfüllt werden können. Die FAO veröffentlichte schließlich 1957 das erste Referenzprotein, welches den menschlichen Bedarf beschreiben sollte.
Mit weiteren Studien und Forschungsarbeiten aktualisierte die FAO/WHO/UNU in gewissen Abständen ihre Referenzproteine, welche nun auch auf verschiedene Altersgruppen ausgerichtet wurden. Sie definieren das ideale Verhältnis der enthaltenen Aminosäuren bzw. Aminosäurengruppen zueinander und stellen, auf die absolute Menge bezogen, eine gewisse Mindestanforderung am Gehalt an unentbehrlichen Aminosäuren im Verhältnis zu allen enthaltenen Aminosäuren im Nahrungseiweiß dar.
Die Festlegung eines Referenzproteins soll eine sichere Aufnahmemenge garantieren, bei der das Risiko, ein Defizit zu erleiden, möglichst gering ausfällt und gerade ein Gleichgewicht im Eiweißstoffwechsel gehalten werden kann. Die Aufnahmemenge orientiert sich dabei am Bedarf eines durchschnittlichen Individuums der entsprechenden Altersklasse, ohne besondere körperliche Belastung. Die Festlegung stellt keine Obergrenze dar, sondern wird als sicheres Niveau bezeichnet, welches auch bei doppelter Aufnahmemenge immer noch als sicher gilt. Wird hingegen die drei- bis vierfache Menge aufgenommen, kann dies nahe an den oberen Grenzwert kommen, bei welchem eine solche Aufnahmemenge nicht mehr als risikofrei betrachtet werden kann.1
Standard Referenzprotein der WHO von 1985
Aminosäuren
g pro 100 g Eiweiß
Histidin
1,6
Isoleucin
1,3
Leucin
1,9
Lysin
1,6
Methionin + Cystin
1,7
Phenylalanin + Tyrosin
1,9
Threonin
0,9
Tryptophan
0,5
Valin
1,3
Tabelle 1: Referenzprotein der WHO für Erwachsene von 1985 (WHO, Technical Report Series No. 724, Energy and protein requirements, 1985, S. 121, Table 38)
Bis 19892 wurde zur Berechnung des Chemical Scores eines Nahrungseiweißes standardmäßig das jeweils gültige Referenzprotein verwendet, welches von der FAO/WHO/UNU für Erwachsene empfohlen wurde. 1989 wurde der Chemical Score durch den PDCAAS als beste Methode zur Ermittlung der Proteinqualität abgelöst, weshalb von da an nicht mehr auf ein aktuelleres Referenzprotein umgestellt wird. Es wird also weiterhin bei der Berechnung der Proteinqualität nach Chemical Score als Standard das Referenzprotein verwendet, welches auf der Tagung der WHO, FAO und UNU 1985 in Genf im Rahmen von Brennwert- und Proteinanforderungen (Energy and Protein Requirements) festgelegt wurde.
Es beziehen sich beispielsweise die Anforderungen in aktuellen Rechtsvorschriften über Lebensmittel für kalorienarme Ernährung bei handelsüblichen Produkten ebenso auf dieses Referenzprotein von 1985.3 Damit wird deutlich, dass der rein chemische Index nach wie vor eine hohe Bedeutung besitzt und auch das Referenzprotein von 1985 noch zur Anwendung kommt.
Wie wird der Chemical Score berechnet?
Im Referenzprotein der WHO von 1985 gibt es genau neun Aminosäuren bzw. Aminosäurengruppen, bezogen auf die oben genannt Formel bedeutet dies, dass n = 9 ist. Zur Bestimmung des Chemical Scores wird das kleinste Verhältnis der Gewichtsanteile aus neun Aminosäuren bzw. Aminosäurengruppen des zu bewertenden Proteins zur entsprechenden Aminosäure bzw. Aminosäurengruppe des Referenzproteins, multipliziert mit dem Faktor 100, ermittelt. Somit ist beim Chemical Score die limitierende Aminosäure bzw. Aminosäurengruppe ausschlaggebend für die Biologische Wertigkeit.
Das Ergebnis der Berechnung des Chemical Scores gibt also durch den Faktor 100 einen prozentualen Wert an, welcher beschreibt, inwieweit das zu bewertende Protein die Anforderungen erfüllt, die durch das Referenzprotein definiert wurden. Das Ergebnis kann somit bei höherer Proteinqualität des zu bewertenden Proteins gegenüber der Qualität des Referenzproteins auch 100 überschreiten. Obwohl der Ergebniswert ein prozentualer Wert ist, wird jedoch, mathematisch nicht korrekt, auf die %-Angabe verzichtet.
Um den Chemical Score eines bewerteten Lebensmittels eindeutig darzustellen und um Verwechslungen mit anderen Berechnungsmethoden zur Proteinqualität zu vermeiden, wird dem Wert des Chemical Scores das Kürzel "CS" vorangestellt. Das Referenzprotein selbst hat also eine Wertigkeit von CS 100.
Warum ist der Chemical Score so wichtig?
Der entscheidende Vorteil der Berechnung der Proteinqualität nach dem Chemical Score ist, dass hier nur die limitierende Aminosäure oder Aminosäurengruppe die Wertigkeit bestimmt. Im Kapitel 5, Biologische Wertigkeit (BW), zur klassischen Biologischen Wertigkeit wird der Eiweißstoffwechsel etwas näher erklärt. Es ist beim Eiweißstoffwechsel nämlich von entscheidender Bedeutung, dass im Nahrungseiweiß alle erforderlichen Aminosäuren enthalten sind, um die Proteinsynthese ausreichend zu unterstützen. Denn fehlt nur eine einzige, benötigte Aminosäure im Eiweißstoffwechsel, kann die aufzubauende Eiweißstruktur nicht synthetisiert werden.
Selbstverständlich kann der Körper eine gewisse Unterversorgung an benötigten Aminosäuren in der Ernährung kompensieren, indem die fehlenden Aminosäuren aus der Muskulatur an anderer Stelle entnommen werden. Allerdings führt dies zu Muskelabbau, was in jedem Fall vermieden werden sollte. Es ist also überaus wichtig, eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung sicherzustellen, die alle erforderlichen Nährstoffe beinhaltet, auch eine entsprechend hochwertige Eiweißversorgung.
Abbildung 10: Frische Nahrungsmittel für eine gesunde, abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung.
Bevor der Chemical Score berechnet werden kann, muss noch die Bezeichnung einer Aminosäure geklärt werden. Unter den bedingt entbehrlichen Aminosäuren gibt es eine mit dem Namen Cystein. Jedoch wird im Referenzprotein der WHO die Bezeichnung Cystin verwendet. Deshalb stellt sich an dieser Stelle die Frage:
Was ist der Unterschied zwischen Cystein und Cystin?
Cystein ist eine schwefelhaltige proteinogene Aminosäure. Werden nun zwei Cystein-Aminosäuren bzw. deren Cystein-Reste durch Oxidation an der Sulfhydrylgruppe miteinander verbunden, entsteht Cystin.4 Cystin ist also eine chemische Verbindung aus zwei Cystein-Aminosäuren, denen jeweils ein Wasserstoff fehlt, deshalb spricht man auch nur von Cystein-Resten. Damit ist natürlich eine Cystin-Verbindung minimal leichter als zwei Cystein-Aminosäuren. Der Gewichtsunterschied beträgt aber weniger als 1 % und ist somit bei der Berechnung des Chemical Scores vernachlässigbar. Es können also Cystein und Cystin bezüglich des Gewichtsanteils in einem zu bewertenden Protein gleichgesetzt werden.
Wie hoch ist der Chemical Score in einem Testprotein?
Bei der Ermittlung der Gewichtsanteile der entsprechenden Aminosäuren ist zu beachten, dass der Gehalt an Aminosäuren sich nicht auf das gesamte Lebensmittel bezieht, sondern nur auf den Eiweißgehalt. Die Angaben der Anteile der Aminosäuren sind also prozentual, d. h. in g pro 100 g Eiweiß anzugeben.
Geben Sie die Gewichtsanteile in g pro 100 g Eiweiß ein:
Da beim Chemical Score mindestens eine Aminosäure die limitierende ist, erscheint diese nach der Berechnung in roter Schrift.
Welche Nachteile hat der Chemical Score?
Obwohl der Chemical Score eine wichtige Berechnungsmethode darstellt, hat er doch, wie alle anderen Verfahren zur Bestimmung der Proteinqualität auch, seine Nachteile.
Um die unterschiedlichen Anforderungen an Nahrungseiweiße den Zielgruppen (Neugeborene, Kleinkinder, Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Schwangere, Stillende) entsprechend individuell anzupassen, ist die Berechnungsformel des Chemical Scores zwar flexibel, jedoch geht mit unterschiedlichen Referenzproteinen für diese Zielgruppen die Standardisierung und damit die Vergleichbarkeit verloren.
Nachteilig ist auch die Tatsache zu bewerten, dass beim Chemical Score der Aspekt der Bioverfügbarkeit, also vor allem die Verdaulichkeit, nicht berücksichtigt wird.
Abhilfe schafft hier die Erweiterung des Chemical Scores durch einfache Multiplikation mit der spezifischen Verdaulichkeit. Das Ergebnis ist der Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score (PDCAAS), bei dem auch ein anderes Referenzprotein Anwendung findet. Mehr dazu im Kapitel 10, Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score (PDCAAS).
Literaturnachweis
1. WHO, Technical Report Series No. 935, Protein and amino acid requirements in human nutrition, 2007, S. 243.
2. FAO, Food and Nutrition Paper No. 51, Protein quality evaluation, 1989, S. 1-2.
3. Europäische Kommission, Amtsblatt der Europäischen Union, Verordnung (EU) 2016/1413 der Kommission, August 2016, ABl. L 230 25.08.2016, S. 11-14.
4. Lieberman, Michael et al., Marks´ Essentials Medical Biochemistry, Lippincott Williams & Wilkins, 2007, S. 54.
Abkürzungen
CS - Chemical Score, zu Deutsch: chemischer Index, Aminosäurenindex
PDCAAS - Protein Digestibility-Corrected Amino Acid Score
DIAAS - Digestible Indispensable Amino Acid Score
FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations, zu Deutsch: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, auch als Welternährungsorganisation bekannt
WHO - World Health Organization, zu Deutsch: Weltgesundheitsorganisation
UNU - United Nations University, zu Deutsch: Universität der Vereinten Nationen
BW - (klassische) Biologische Wertigkeit
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Codenummer der Kontrollstelle: DE-ÖKO-037
EU-Landwirtschaft
100 % Bio Milk Protein besitzt eine
Biologische Wertigkeit von CS 169